„Etwas heißen Tee oder auch mal ’ne Suppe“ – darum bat Ingo Wilke im Oktober 2016 auf Facebook. Nicht für sich, sondern für Obdachlose in Saarbrücken. Aus dem Aufruf ist schnell ein gemeinnütziger Verein geworden, der Menschen in Not ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Wir haben mit Petra Therre, die von Anfang an mit dabei war, über „Ingos kleine Kältehilfe“ gesprochen.
Hallo und vielen Dank, dass Du uns ein wenig von Ingos kleiner Kältehilfe erzählst! Fangen wir an: Wie sieht Euer Tagesablauf aus? Was hängt alles an den täglichen Mahlzeiten dran?
Die Organisation ist mittlerweile riesig. Jeder, der helfen will, kann uns kontaktieren und sich in einen Essensplan eintragen. Die Ehrenamtlichen kochen für diesen Tag ein Gericht ihrer Wahl – in ihrer eigenen Küche, zwischen 70 und 80 Portionen. Wir stellen dafür Thermotöpfe bereit. Die müssen unsere Helfer dann selbstständig zu uns bringen. Viele sind berufstätig und stellen sich nach der Arbeit noch an den Herd. Wir machen das alle mit Herzblut.
Wow, das ist menschlich ganz große Klasse! Bekommen Eure Helfer Unterstützung oder finanzieren sie alles aus eigener Tasche?
Die ersten zwei Jahre wurde alles aus eigener Tasche gezahlt, mittlerweile haben wir aber ein großes Warenlager, wo wir lang haltbare Lebensmittel vorrätig haben, zum Beispiel Nudeln oder Konserven. Ein bisschen Geld können wir auch zuschießen – und das ist sehr wichtig, weil wir einige Köche haben, die selbst … nicht viel haben. Familien oder Rentner, die an der Armutsgrenze rumkrabbeln.
Moment … Rentner? Ich dachte, das alles ging mit einem Facebook-Posting los? Wie erreicht man damit Rentner?
Der Beginn war wirklich über Facebook. Im Oktober 2016 war es sehr, sehr kalt, da hat unser Ehrenvorsitzender Ingo Wilke einen Aufruf dort gestartet. Das wurde tausendfach geteilt – so habe ich davon erfahren. Ich habe dann eine Gemüsesuppe vorbeigebracht und dachte, ich hole einfach meinen Topf irgendwann wieder ab. Aber Herr Wilke hat mir eine Suppenkelle in die Hand gedrückt und gesagt, ich solle verteilen helfen. Diese Kelle habe ich heute noch in der Hand. So ging das langsam los, mit nur einer Handvoll Helfer. Im Winter gab es zusätzlich noch den städtischen Kältebus – der hat im März aber schon wieder geschlossen. Dummerweise kam genau dann nochmal eine richtige Kältewelle. Für uns war klar: „Wir machen weiter!“ Und das hat sich rumgesprochen.
Klar, gute Kunde verbreitet sich schnell. Und bestimmt auch bei Bedürftigen. Wer darf denn zu Euch kommen und Eure Hilfe in Anspruch nehmen?
Jeder. Das war von Anfang an unsere große Maxime. Jeder. Darf. Kommen. Wir fragen nicht, ob derjenige Bedürftig ist, wir wollen keinen Nachweis oder sonst was. Anfangs war es recht eindeutig, da kamen nur Obdachlose. Das hat sich aber nach einem halben Jahr etwa geändert, dann kamen Menschen von überall. Wir sagen uns: Wer sich abends um halb neun in eine lange Schlange stellt, in der klirrenden Kälte, bei Wind und Wetter, der hat sicher das Bedürfnis nach einer warmen Mahlzeit. Und wenn es vereinzelt jemand nicht unbedingt bräuchte, macht das unseren Topf nicht leer. Allerdings hat sich das durch die Pandemie etwas geändert. Unser Hygienekonzept sieht vor, dass wir zumindest einen Namen in eine Liste eintragen, damit bei Quarantäne oder ähnlichen Vorfällen andere Gäste, die mit einem Infizierten womöglich in Kontakt waren, darüber informiert werden. Damit hatten wir bisher aber zum Glück keinerlei Probleme.
Apropos Pandemie: Merkst Du einen Anstieg in der Bedürftigkeit? Kommen mehr Menschen als zuvor?
Im Lockdown 2020 war es heftig, da hatten wir wochenlang bis zu 160 Gäste pro Abend. Da mussten wir einiges dazulernen. Immerhin haben Menschen, die auf der Straße leben und bis dahin auch mal was von normalen Gastronomen bekommen haben, auf einmal nicht mal mehr Zugang zu Trinkwasser gehabt. Das ist wieder zurückgegangen. Was sich aber stetig geändert hat, sind unsere Gäste: Es sind viel mehr ältere Leute da, die besonders ab Mitte des Monats nicht mehr wirklich Geld für eine warme Mahlzeit haben.
Teilt Ihr auch Kleidung oder Schlafsäcke aus?
Wichtig ist uns, dass die Leute am Abend noch was Warmes in den Bauch bekommen, dadurch wirkt die Nacht nicht ganz so kalt. Wir geben auch immer ein Lunchpaket mit, meistens belegte Brötchen und ein süßes Teilchen. Kleidung hatten wir früher mehr auf Vorrat, aber wir haben gemerkt, dass das gar nicht so gefragt ist. Natürlich haben wir immer noch warme Jacken & Co., aber eher als Notbehelf, falls jemand wirklich sichtbar einen Bedarf hat.
Erwartet man erst mal gar nicht so, wie Du das schilderst … Was würdest Du sagen, ist Bedürftigen am wichtigsten?
Das Essen ist klar wichtig, aber ich glaube, der soziale Kontakt ist fast wichtiger. Vor Corona haben wir oft mit den Gästen gequatscht, zusammen Kaffee oder Tee getrunken – in der jetzigen Situation kommt das natürlich viel zu kurz, weil wir es nicht dürfen. Es ist schlimm, aber im Moment ist es eine Art Durchreise. Die Gäste müssen schnell essen, schnell wieder raus, wir müssen alles desinfizieren … und dann auch noch 2G beachten. Das ist sehr traurig. Besonders, weil wir seit letztem Jahr ein festes Dach über’m Kopf haben und unsere Gäste nicht in der Kälte draußen essen müssen. Wir haben es uns richtig schön vorgestellt – die Leute bleiben länger da, spielen vielleicht mal zusammen Karten. Aber das dürfen wir leider nicht.
Wird dieses Gefühl der Entfernung und Einsamkeit jetzt um die Weihnachtszeit herum für Bedürftige noch intensiver? Ist ja immerhin eine typische Familienfeier in Deutschland …
Sicher für manche unserer älteren Gäste oder Familien. Aber viele sind in ihrem Leben an einem Punkt angekommen, an dem jeder Tag wie der andere ist, besonders, wenn sie auf der Straße leben. Da scheint Weihnachten kein großes Thema zu sein. Aber wir versuchen trotzdem, etwas Besonderes draus zu machen. Wir hatten am 6. Dezember den Nikolausabend bei uns, jeder bekam Tüten mit Süßigkeiten und nützlichen Dingen wie Desinfektionsmittel geschenkt. Das war toll, aber ich glaube, für die meisten Bedürftigen wäre es ohne Nikolaus und Weihnachtsstimmung genauso schön gewesen. Ich habe das Gefühl, Themen wie Pandemie, Angst und Gesundbleiben sind derzeit wichtiger.
Wie kann man Euch – auch vielleicht von weiter weg – helfen?
Wir haben auf unserer Facebook-Seite eine Bedarfsliste. Die halten wir immer aktuell, also welche Getränke oder haltbaren Lebensmittel wir gerade brauchen. Wenn uns jemand von weiter weg helfen möchte, freuen wir uns natürlich immer über Spenden auf unser Spendenkonto. Wir sind aber genauso sehr über Lebensmittelspenden aus der Umgebung dankbar – oder auch Sachspenden wie Schlafsäcke oder Isomatten.
Bekommt Ihr von Vereinen oder sonstigen Institutionen Unterstützung?
Die CosmosDirekt hat uns anderthalb Jahre ganz toll mit einem Auto unterstützt. Das war wirklich Gold wert – von morgens bis abends sind wir damit unterwegs gewesen, haben große Einkäufe erledigt, Essen oder Sachspenden abgeholt. Viele unserer Unterstützer sind selbst nicht mobil und können uns nicht einfach mal so ihre gekochten Mahlzeiten vorbeibringen. Da war das Auto von CosmosDirekt wirklich eine bahnbrechende Hilfe, die wir erhalten haben. Vor allem, weil wir dadurch auch spontan sein konnten. Wir hatten schon den Fall, dass wir spontan bei einem Fleischgroßhandel Wurst und Käse abholen durften. Da haben wir durch unsere Reihen telefoniert und gefragt, ob jemand Zeit hat und mit dem Auto hinfahren kann – wenig später war der Kofferraum vollgepackt. Das war wirklich Spitze!
Zum Abschluss noch etwas ganz Aktuelles: Was kann ich selbst tun, wenn ich einen Obdachlosen in einer kalten Nacht sehe? So als Soforthilfe?
Als Soforthilfe? Nicht wegschauen! Ansprechen! Fragen, ob derjenige Hilfe braucht! Nie jemanden einfach liegenlassen und vorbei gehen – aber bitte eine gewisse Distanz wahren. Man sollte jemanden nie rütteln oder anfassen, man weiß ja nicht, wie derjenige reagiert. In der Gegend um Saarbrücken kann man uns auch anrufen, wir kommen mit einem warmen Getränk, Schlafsack und Essen vorbei. Und in fast jeder Stadt in Deutschland gibt es ja mittlerweile Kältebusse. Wenn nicht, die Polizei anrufen und fragen, was man machen könnte und wo es vielleicht Hilfe gibt. Das wichtigste ist wirklich: Nie einfach wegschauen und nichts machen!
Du möchtest mehr über Ingos kleine Kältehilfe erfahren? Dann schaue auf der Webseite oder dem Facebook-Kanal nach!