Jede achte Person in Deutschland kann nicht richtig lesen und schreiben. Die Schriftart Lexend, die auch CosmosDirekt in allen Texten benutzt, kann Menschen mit einer Leseschwäche helfen. Zum Tag der Legasthenie am 30. September erklärt
Lexend-Entwicklerin Dr. Bonnie Shaver-Troup ihre Vision.
Wir übernehmen Verantwortung
Als wir uns digital mit Dr. Bonnie Shaver-Troup treffen, befindet sie sich in Quarantäne. Corona hat sie erwischt – und sie ist dadurch „ein wenig emotional“, wie sie vorab sagt.
Die enorme Empathie, die Leidenschaft für ihr Projekt und ihren unermüdlichen Wissensdrang spürt man in jedem ihrer Sätze. Wenn sie von Lexend spricht, leuchten ihre Augen. Und sie ist sehr dankbar, dass CosmosDirekt gemeinsam mit Google und Superunion das Projekt unterstützt hat: „Es ist wunderbar zu sehen, wie sich die Geschäftswelt geändert hat. Früher hätte man so etwas nicht getan, aber heutzutage sind sich Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung bewusst und wollen den Menschen etwas zurückgeben.“
Genau deswegen haben wir von CosmosDirekt uns aktiv dafür eingesetzt, dass
Lexend bei Google Fonts, dem Schriftenverzeichnis von Google, erweitert wird. Dort sind nun mehrere Versionen kostenlos jedem zugänglich. So wollen wir die Welt ein Stückchen besser machen.
Eine Idee, die Leben verändert
Dr. Shaver-Troup hat jahrelang als „educational therapist“ gearbeitet, als therapeutische Lehrkraft, spezialisiert auf Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche. Ihr Job hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass die meisten Menschen mit Legasthenie – auch „Dyslexie“ genannt – vor allem Probleme haben, weil Buchstaben in herkömmlichen Texten zu eng angeordnet sind. „Man kann es sich vorstellen wie bei einem Wald. Wenn Bäume weit auseinanderstehen, kann ich sie genau erkennen und zählen. In einem dichten Wald stehen sie aber so eng, dass ich das nicht mehr kann. Ich erkenne die einzelnen Bäume noch nicht einmal mehr“, erklärt Shaver-Troup.
So fühlt sich für viele Menschen Dyslexie an: Buchstaben greifen ineinander, überlagern einander – und machen das Lesen nahezu unmöglich. „Viele Eltern von Schulkindern, die zu mir kamen, sagten mir vorab am Telefon, dass ihre Kinder wirklich intelligent seien, aber einfach nicht wirklich Lesen oder Schreiben lernen“, erinnert sich Bonnie Shaver-Troup. Sie merkte schnell, dass stärker verzierte Schriftarten, wie sie in gedruckten Büchern vorkommen, für ihre Schützlinge schwerer zu lesen waren als moderne, minimalistische Schriften.
Also erfand sie an einem „großen, teuren, alten Computer“ Lexend. Dabei ging sie überraschend mathematisch vor: „Es geht bei Schriften sehr viel um Berechnungen. Man berechnet, wie Seitenverhältnisse, Strichstärke, Breite und Abstand der Buchstaben zueinander stehen müssen, um einen klaren Lesefluss zu ermöglichen. Ich vergleiche das gern mit einer Treppe. Wenn ich weiß, dass eine Treppe aus gestapelten Rechtecken besteht, die immer dieselbe Höhe, Breite und Länge haben, stolpere ich nie. Genauso ist das bei Schriften auch.“
Was zeichnet Lexend genau aus?
- Die einzelnen Buchstaben der Schrift stehen etwas weiter auseinander als gewöhnlich. Das erzeugt mehr Weißraum.
- Ihre Form ist reduziert, ohne störende Serifen, die Bonnie „visual noise“ nennt, also Reizüberflutung für die Augen.
- Öffnungen, etwa beim C, sind größer als bei bekannten Schriften.
- Die Strichstärke ist angenehm, das heißt: Die Striche der Buchstaben wirken ausgewogen und klar definiert. Dadurch entsteht bei Lexend mehr Kontrast zum Hintergrund.
All das trägt zu einer wesentlich leichteren Lesbarkeit bei. Und die verändert das Leben von unzähligen Menschen positiv – unabhängig davon, ob sie an Legasthenie leiden oder nicht. Denn Lexend führt auch bei geübten Lesern zu weniger Ermüdungserscheinungen. So sind selbst lange Texte für jeden Menschen wesentlich besser lesbar.
Lesen können bedeutet Lebensqualität
Dr. Bonnie Shaper-Troups Vision, Menschen zu helfen, hat uns berührt. Denn wir wissen: Lesen können ist der Schlüssel zu einem besseren Leben. Wer lesen kann, kann sich über alles informieren, was er wissen möchte. Wissen ist Eigenermächtigung – es öffnet uns Türen im Beruf, in der Gesellschaft und im Privatbereich. „Wer nicht lesen kann, hat auch einen geringeren Wortschatz. Diese Menschen haben dann oft Probleme, sich richtig auszudrücken.“ Shaver-Troup nennt das „library“, also eine Art Bibliothek in unseren Köpfen. Wer Probleme mit dem Lesen hat, hat eine relativ leere Bibliothek – und das führt zu starken Nachteilen im Leben.
„Schrift ist ein menschengemachtes Produkt. Wir müssen es neu denken und individualisieren. Nur so können alle Menschen davon profitieren. Es ist doch egal, ob ein Text in einem Buch oder auf einer Website in Schriftgrad 9 oder Schriftgrad 24 steht – der Inhalt bleibt derselbe. Schrift sollte so funktionieren wie eine Brille, die dem einzelnen Menschen hilft, seine Umgebung klar wahrzunehmen. Ich will an einer Welt voller gebildeter Menschen arbeiten, die problemlos lesen und schreiben können“, erzählt uns Shaper-Troup. Ihre Stimmte zittert leicht, als sie daran denkt, wie sehr Lexend die Welt verändern kann.
Lexend für die ganze Welt
Bisher ist Lexend lediglich für lateinische Buchstaben (und einige Ausnahmen wie Umlaute) verfügbar. Das soll sich aber möglichst rasch ändern. „Derzeit arbeiten wir daran, Lexend ins Arabische umzusetzen. Das ist das Schöne an dem Font: Er basiert auf einem mathematischen System, das sich auf jede Schriftart übertragen lässt“, erklärt die Erfinderin.
Gleichzeitig versteht sie aber auch, dass herkömmliche Fonts nicht so einfach ersetzt werden können – und auch gar nicht sollen. „Kursive und kalligrafische Schriften sind Teil unserer Menschheitsgeschichte und Kultur. Natürlich sind sie auch wunderschön. Aber gerade in der Bildung sollten wir versuchen, ein System zu finden, das für alle so einfach wie möglich ist. Vor allem, weil wir größtenteils aus Büchern lernen, also unser Wissen auf Geschriebenem basiert.“ Lexend ist also keine Frage des „Entweder – Oder“, sondern eine sinnvolle Ergänzung, ein „Und“. Die Schrift soll Menschen mit verschiedensten Stärken und Schwächen die Möglichkeit geben, Lesen und Schreiben zu lernen. Um ein freies, selbstbestimmtes Leben erfahren zu können.
Quellen: https://www.lexend.com/Interview mit Dr. Bonnie Shaver-Troup
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Online Redakteur bei CosmosDirekt seit 2014, davor seit 1996 in verschiedenen Bereichen des Cosmos tätig. Ist auf der Straße, im Garten und auf dem Wasser zu Hause.